Wie funktioniert die Belichtungsmessung?
In einer idealen Welt wäre eine Belichtungsmessung unnötig. Könnte ein Bildwandler alle Helligkeitsabstufungen in den Szenen registrieren, auf die wir die Kamera richten, dann bräuchten wir erst nach der Aufnahme festzulegen, wie die Tonwerte im Bild wiedergegeben werden sollen. Tatsächlich ist der Dynamikumfang, den ein Sensor bewältigen kann, aber ebenso beschränkt wie früher der des Films (siehe Bewältigen Digitalkameras einen zu geringen Dynamikumfang?), und so müssen wir schon vor der Aufnahme entscheiden, welcher Ausschnitt des Helligkeitsspektrums im Bild festgehalten werden soll. Eben das ist die Aufgabe der Belichtungsmessung.
Bei allen aktuellen Kameras beruht diese auf einer Messung des Lichts, das durch das Objektiv fällt. Aber der Begriff der Belichtungsmessung führt hier in die Irre, denn der gesuchte Wert lässt sich auf diese Weise gar nicht ermitteln. Die Aufgabe einer Belichtungsmessung bestünde darin, den Einfluss des unterschiedlich hellen Umgebungslichts auszugleichen; je heller die Szene ausgeleuchtet ist, desto knapper sollte die Kamera belichten, sodass immer dieselbe Lichtmenge auf den Sensor fällt. Durch das Objektiv kann man aber nur das vom Motiv reflektierte Licht messen, das keine Rückschlüsse auf das Umgebungslicht zulässt. Eine bestimmte Motivhelligkeit mag darauf zurückzuführen sein, dass ein dunkles Objekt sehr hell ausgeleuchtet oder ein helles Objekt nur schwach beleuchtet ist; aus der Perspektive der Kamera sind diese Fälle nicht zu unterscheiden.
Mit einem separaten Handbelichtungsmesser (wie dem hier abgebildeten Gossen DIGIPRO F2) könnte man stattdessen eine Lichtmessung vornehmen, indem man vom Motiv aus in Richtung der Lichtquelle misst. Diese Art der Belichtungsmessung ist sehr zuverlässig, in der Praxis aber nicht immer anwendbar, weil das Motiv unzugänglich sein kann oder keine Zeit für die Lichtmessung bleibt. Man könnte auch ein Standardmotiv wie eine Graukarte neben das Hauptmotiv stellen und dieses gezielt anmessen. Da die Graukarte einen immer gleichen Anteil des Lichts (typischerweise 18 Prozent) reflektiert, hängt ihre gemessene Helligkeit nur noch vom Umgebungslicht ab. Aber auch für die Platzierung einer Graukarte fehlen oft Zeit oder Gelegenheit, und so bleibt meist nur, dennoch das Unmögliche zu versuchen und sich auf die Belichtungsmessung durch das Objektiv zu verlassen.
Die drei verbreitetsten Methoden der Belichtungsmessung, die Spotmessung, die mittenbetonte Integralmessung und die Mehrfeldmessung, unterscheiden sich nicht nur in ihrer Messcharakteristik, sondern vielmehr ganz grundsätzlich in der Art, wie sie die optimale Belichtung zu erraten versuchen – und mehr als ein Raten ist es ja nicht, weil sich der gesuchte Wert nicht eindeutig messen lässt.
Spotmessung
Die Spotmessung, die die Helligkeit in einem kleinen, meist ein bis zwei Prozent umfassenden Teil des Bildfelds misst, geht davon aus, dass der angemessene Teil des Motivs ein durchschnittliches Rückstrahlvermögen hat; dies ist so definiert, dass 18 Prozent des einfallenden Lichts zurückgeworfen werden. Die Kamera wählt dann Verschlusszeit und Blende so, dass ein Motiv dieser Helligkeit eine mittlere Ladungsmenge in einem Sensorpixel erzeugt. Dem muss nicht zwingend auch ein mittlerer Tonwert (128, sofern die Tonwerte von 0 bis 255 reichen) entsprechen, da dieser auch von der Gradationskurve abhängt, die ihn nach oben oder unten verschieben kann. Die Präzision der Spotbelichtungsmessung hängt entscheidend davon ab, ob der Fotograf ein Motivdetail mit 18-prozentigem Reflexionsvermögen anmisst. Bei überwiegend hellen oder überwiegend dunklen Objekten ist das oft nicht möglich, und man muss dann versuchen, ein Ersatzmotiv mit dem gewünschten Reflexionsverhalten zu finden, das genauso wie das eigentliche Motiv beleuchtet ist. Was immer man anmisst, wird von der Kamera als Motiv mittlerer Helligkeit angesehen und entsprechend abgebildet werden; daher ist das Fehlerpotential bei unachtsamer Anwendung hoch. Ein für die Spotmessung optimal geeignetes Motivdetail wird sich nicht unbedingt in der Bildmitte befinden, sodass man den Messwert zunächst speichern muss und erst danach den Bildausschnitt wählen kann. Manche Kameras bieten auch die Option, das Spotmessfeld mit dem Messfeld des Autofokus zu verknüpfen, was allerdings wenig nützlich ist: Nur in Ausnahmefällen wird das vom Autofokus gewählte Motivdetail auch die geforderte mittlere Objekthelligkeit haben.
Eine Spotmessung muss sich nicht immer an einem mittleren Helligkeitswert orientieren. Olympus’ Kameras beispielsweise bieten alternativ eine Messung auf die hellsten oder dunkelsten Motivdetails an, die noch eine Struktur erkennen lassen sollen. Die Kamera belichtet dann so, dass ein Motiv mit der gemessenen Helligkeit gerade noch innerhalb des vom Sensor bewältigbaren Dynamikumfangs liegt. Man kann dieses Verhalten auch mit einer gewöhnlichen Spotmessung simulieren, indem man einen positiven oder negativen Belichtungskorrekturwert einstellt, dessen Größe man experimentell herausfinden muss. Dies kann allerdings daran scheitern, dass der benötigte Wert außerhalb der Grenzen der Belichtungskorrektur (meist ± 3,0 EV) liegt.
Mittenbetonte Integralmessung
Während die Spotmessung dem Fotografen viel Aufmerksamkeit abfordert und bei falscher Anwendung auch zu krassen Fehlbelichtungen führen kann, ist die meist mittenbetonte Integralmessung deutlich robuster und unkomplizierter zu handhaben. Die Grundidee besteht darin, dass sich auch dann, wenn es kein Motivdetail mit einer mittleren Objekthelligkeit gibt, die helleren und dunkleren Teile innerhalb des Bildes meist ausgleichen und die Durchschnittshelligkeit wieder einem mittleren Wert entspricht, auf den man die Belichtung abstimmen kann. Die Durchschnittsbildung gewichtet die Bildteile meist unterschiedlich und lässt die Mitte, in der sich mit größerer Wahrscheinlichkeit das Hauptmotiv befindet, stärker als den Bildrand in die Berechnung einfließen. Die Abbildung links zeigt eine typische Gewichtung bei Pentax-DSLRs.
Die Integralmessung ist keineswegs gegen Fehler immun: Eine Schneelandschaft mit Schneemann ist auch im Durchschnitt heller als ein mittlerer Grauwert und würde daher wie im Beispiel rechts zu sehen unterbelichtet werden – aus dem weißen Schnee macht die Integralmessung ein unansehnliches mittleres Grau. Man kommt dann nicht umhin, die Belichtung manuell zu korrigieren, aber gerade wenn man ohnehin ahnt, dass eine Korrektur nötig sein wird, bietet die Integralmessung eine gute Basis – einerseits, weil ihr Verhalten durchschaubar ist und gut vorausgesagt werden kann, andererseits aber auch, weil ihr Ergebnis gegenüber kleinen Änderungen des Bildausschnitts recht unempfindlich bleibt.
Mehrfeldmessung
Die Mehrfeld- oder Matrixmessung stellt in dieser Hinsicht das genaue Gegenteil dar, denn ihr Verhalten ist komplex, nicht immer durchschaubar und kann sich schon mit einem kleinen Schwenk der Kamera ändern. Dafür haben die Mehrfeldmessverfahren der verschiedenen Kamerahersteller eine größere Erfolgsquote als eine Integralmessung und erfordern, anders als die Spotmessung, nicht die Mithilfe des Fotografen. Deshalb ist die Mehrfeldmessung generell als Standard ausgewählt, und wenn eine Kamera nur ein Messverfahren unterstützt, dann ist es fast immer dieses.
Eine Mehrfeldmessung misst die Helligkeit in mehreren, zwischen 16 bis zu mehreren hundert Feldern. Bei Mehrfeldmessverfahren mit einer kleinen Zahl von Messfeldern sind diese manchmal unregelmäßig geformt, aber in der Regel handelt es sich um eine Matrix überwiegend gleich großer Rechtecke, in die das Bild aufgeteilt ist. Man könnte die Ergebnisse der Belichtungsmessung in den einzelnen Feldern nun einzeln gewichten und dann einen Durchschnitt berechnen, aber damit wäre die Mehrfeldmessung lediglich eine flexiblere Variante der mittenbetonten Integralmessung. Eine Durchschnittsbildung würde aber gerade den entscheidenden Vorteil der Mehrfeldmessung zunichte machen, dass sie die Tonwertverteilung im Bild analysieren kann. Eine typische Mehrfeldmessung verlässt sich daher nicht wie die anderen Messverfahren auf Mutmaßungen über die Objekthelligkeit, sondern geht das Belichtungsproblem direkter an – sie belichtet so, dass die im Bild vertretenen Helligkeitswerte möglichst vollständig und gut aufgelöst vom Sensor registriert werden können, also trotz des beschränkten Dynamikumfangs möglichst wenig Details in den Lichtern und Schatten verloren gehen. So lange das Motiv nicht zu kontrastreich ist, lässt sich diese Aufgabe leicht bewältigen; es kommt nur darauf an, so zu belichten, dass die geringsten und größten Helligkeitswerte etwa gleichen Abstand zu den Grenzen des vom Sensor bewältigbaren Dynamikumfangs einhalten. Diese vermittelnde Tonwertwiedergabe kann zwar in die Irre gehen, wenn in der fotografierten Szene überwiegend helle oder überwiegend dunkle Motive vorherrschen, die dann zu dunkel beziehungsweise zu hell abgebildet würden. Selbst dann hätte die Mehrfeldmessung aber dafür gesorgt, dass alle Tonwerte erhalten bleiben, und es wäre ein Leichtes, sie mit einer einfachen Tonwertkorrektur wie gewünscht zu verschieben.
Schwieriger ist die Belichtung in den Fällen, in denen der Motivkontrast den Dynamikumfang des Sensors überfordert. Dies passiert recht häufig, heißt aber noch nicht, dass keine guten Ergebnisse zu erzielen wären, sofern die Belichtungsautomatik den wichtigsten Ausschnitt des Tonwertspektrums erhält. Die Aufgabe der Mehrfeldmessung kann man mit dem von Ansel Adams entwickelten Zonensystem vergleichen: Die unterschiedlichen Helligkeitsbereiche müssen unter anderem danach unterschieden werden, ob es sich um Lichter und Schatten handelt, deren Tonwerte noch differenziert werden sollen, oder um Spitzlichter und tiefe Schatten, die undifferenziert durch reines Weiß oder schwarz wiedergegeben werden können. Der nach dem Zonensystem arbeitende Fotograf klassifiziert Helligkeitsstufen nach der beabsichtigten Bildwirkung, und Ähnliches muss auch die Mehrfeldmessung leisten. Dazu muss sie möglichst viele typische Aufnahmesituationen und Motive erkennen, und hier können neben der Belichtungsmessung selbst noch weitere Informationsquellen einbezogen werden: Mit Hilfe eines Mehrfeld-Autofokus lässt sich die Lage von Vorder- und Hintergrund bestimmen und mit einem Orientierungssensor die Ausrichtung des Bildes erkennen.
Was für Motive erkannt werden und welches die Kriterien dafür sind, unterscheidet sich von Modell zu Modell, und kein Kamerahersteller legt die Details seines Messverfahrens offen. Beispielsweise könnte eine Kamera feststellen, dass sich vor einem besonders im oberen Bereich sehr hellen Hintergrunds ein dunklerer Vordergrund befindet, und daraus schließen, dass hier eine Gegenlichtsituation vorliegt. Wenn der Kontrastumfang insgesamt zu groß ist, als dass ihn der Sensor vollständig wiedergeben könnte, würde sie die Belichtung dann auf den mutmaßlich bildwichtigen dunklen Vordergrund abstimmen und für dessen kontrastreiche Wiedergabe eine Überbelichtung des hellen Himmels in Kauf nehmen. Wenn umgekehrt der Hintergrund dunkel und kontrastarm, der Vordergrund aber sehr viel heller und kontrastreicher erscheint, so spricht das für eine gezielte Ausleuchtung des Vordergrunds, beispielsweise eines Musikers auf der Bühne, der von Scheinwerfern angestrahlt wird. In einem solchen Fall sollte die Kamera auf den hellen Vordergrund belichten und undifferenzierte Schattenbereiche im Hintergrund als Folge davon akzeptieren.
Je nachdem, was für eine Fotosituation die Kamera erkannt hat, wird die Mehrfeldmessung die einzelnen Messfelder ganz unterschiedlich gewichten, und nicht selten werden größere Bildteile als unwichtig angenommen und daher weitgehend ignoriert werden. Auf diese Weise lassen sich die als wichtig erkannten Abschnitte des Tonwertspektrums kontrastreich und fein aufgelöst wiedergeben, auch wenn der gesamte Reichtum der Tonwerte nicht bewahrt werden kann. Diese Eigenschaft macht das Verhalten einer Mehrfeldmessung aber auch schwer vorhersehbar, denn schon ein leichter Schwenk kann dazu führen, dass die Kamera die Szene neu klassifiziert, weil beispielsweise ein Motiv im Vordergrund nun an den Bildrand verschoben ist und nicht mehr als Hauptmotiv gilt. Die Mehrfeldmessung wird zwar meist zu guten Resultaten führen, häufiger als die vergleichsweise grobschlächtige mittenbetonte Integralmessung, die stets davon ausgeht, dass sich hellere und dunklere Motive die Waage halten. Vereinzelt wird sie aber auch überraschende Ergebnisse produzieren, und wer sich eine neue Kamera angeschafft hat, sollte sich mit den besonderen Eigenheiten von deren Mehrfeldmessung vertraut machen, um problematische Situationen besser vorhersehen zu können. Wenn die Kamera beispielsweise dazu neigt, den hellen Hintergrund von Gegenlichtaufnahmen zugunsten des Vordergrunds überzubelichten, dem Fotografen aber an einer korrekten Belichtung des Himmels liegt, muss er die Belichtung entsprechend korrigieren und im Gegenzug den dunklen Vordergrund in einem Bildbearbeitungsprogramm aufhellen.