Ist das Bildrauschen bei gleichem ISO-Wert stärker, wenn die Lichtverhältnisse schlecht sind?

Dass das Rauschen mit dem ISO-Wert steigt, ist bekannt, aber oft scheint es, als würden auch die Lichtverhältnisse eine Rolle spielen: Wenn man einmal versehentlich im hellen Tageslicht mit einem hohen ISO-Wert fotografiere, hält sich das Rauschen durchaus in Grenzen. Erst wenn man die hohen ISO-Werte bei schlechten Lichtverhältnissen wirklich braucht, scheint das Rauschen viel stärker zu sein. Täuscht das, oder ist dieser Effekt real?

Tatsächlich spielt es für das Rauschen kaum eine Rolle, wie viel Licht zur Verfügung steht. Der ISO-Wert gibt vor, wie viel Licht für eine korrekte Belichtung gesammelt werden muss: Je höher der ISO-Wert, desto weniger Licht wird als nötig erachtet, und da dann auch weniger Elektronen in den Sensorpixeln gesammelt werden können, muss das aus dem Sensor ausgelesene Signal entsprechend verstärkt werden, um das Bild aufzuhellen.

Die Belichtungsautomatik wählt im hellen Tageslicht eine kurze Verschlusszeit und/oder eine kleine Blende, bei schlechten Lichtverhältnissen hingegen eine längere Verschlusszeit und/oder eine große Blende. Im Endeffekt wird immer gleich viel Licht gesammelt – eben die Lichtmenge, die der Belichtungsautomatik durch den ISO-Wert vorgegeben ist. Das Signal ist also unabhängig von den Lichtverhältnissen immer gleich hoch und auch das Rauschen ist es meist ebenfalls, und das gilt für hohe wie für niedrige ISO-Werte. Bei Langzeitbelichtungen kann das Dunkelstromrauschen eine zunehmend größere Rolle spielen und damit das gesamte Rauschen steigen, aber für Belichtungszeiten, mit denen man noch aus der Hand fotografiert, kann man davon ausgehen, dass der Signalrauschabstand annähernd konstant bleibt.

Glühlampenlicht ist rotstichtig, weshalb der Blaukanal unterbelichtet wird

Dennoch hat die oben beschriebene Beobachtung einen realen Kern. Der entscheidende Faktor ist aber nicht die Helligkeit, sondern die Farbtemperatur des Lichts. Im Tageslicht sind Rot, Grün und Blau zu etwa gleichen Anteilen enthalten, so dass die für diese Grundfarben empfindlichen Sensorpixel ungefähr gleich stark belichtet werden. Schlechte Lichtverhältnisse findet man aber vor allem bei Innenaufnahmen bei Kunstlicht vor. Glühlampenlicht enthält sehr viel Rot, weniger Grün und am wenigsten Blau, und auch die heute meist verwendeten LED-Leuchten haben meist eine daran angepasste Farbtemperatur von 2700 K. Die Kamera belichtet so, dass kein Sensorpixel überbelichtet wird, und wegen des großen Rotanteils des Kunstlichts muss die Belichtung auf die rotempfindlichen Pixel abgestimmt werden. Die übrigen Sensorpixel werden dann unterbelichtet, die blauempfindlichen noch stärker als die grünempfindlichen Pixel.

Die Anhebung des Blaukanals durch den Weißabgleich (rechts) verstärkt das Rauschen

Aufgrund des rotstichigen Glühlampenlichts sind auch die mit diesem Licht aufgenommenen Bilder rotstichig. Um diesem Farbstich abzuhelfen, muss man eine Weißabgleichseinstellung für Glühlampenlicht wählen, dessen Farbtemperatur unter 3000 K liegt. Der Grünkanal und mehr noch der Blaukanal werden dann in der internen Bildverarbeitung angehoben, um die Farbstimmung zu neutralisieren. Wenn die die Kamera beispielsweise gemäß ISO 1600 belichtet hat, wird tatsächlich nur der Rotkanal entsprechend dieses ISO-Werts verstärkt; die Verstärkung des Blaukanals kann eher ISO 6400 entsprechen und um so viel stärker ist auch das Rauschen in diesem Kanal. Das Rauschen im Blaukanal kontaminiert als Farbrauschen das gesamte Bild, und je nachdem, ob der Rauschanteil eines Pixels in einem Zuviel oder Zuwenig von Blau besteht, sind die Rauschartefakte blau oder (komplementär dazu) gelb.

Quelle: B+W

Mit einem blauen Konversionsfilter vor dem Objektiv könnte man die ungleiche Verteilung des Lichts auf den roten, grünen und blauen Teil des Spektrums von vornherein korrigieren, aber da dieses Filter Licht schluckt, müsste man noch länger belichten. Das Bildrauschen wäre zwar geringer als bei einer Farbstichkorrektur mittels Weißabgleich, aber in den meisten Fällen wird diese Methode nicht praktikabel sein. In der Available-Light-Fotografie setzt man ja den ISO-Wert gerade eben so hoch, dass man noch ohne Risiko von Verwacklungs- und Bewegungsunschärfe fotografieren kann, und eine Verlängerung der Belichtungszeit wäre nicht akzeptabel. Stattdessen müsste man den ISO-Wert weiter erhöhen, womit der Vorteil beim Rauschen zunichte würde. Bei Aufnahmen vom Stativ könnte ein Konversionsfilter aber eine Alternative sein.